Page 85 - Spielfeld_Juni_2018
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                 SPIELFELD
 Günter Gehlker hat die Kraft der zwei Herzen: Der 77-Jährige ist Schalker, doch vor zehn Jahren entdeckte er seine Liebe zur TSG und gründete einen Fanclub. Seither ist er nicht mehr zu bremsen. Auch auf dem Rasen hält Gehlker noch immer mit den Spielern mit – 56 Jahre Schiedsrichter und kein Ende in Sicht. Ein Besuch in seiner Heimatstadt Essen.
Auf dem Platz ist er seit 56 Jahren der Unpartei- ische, sobald er die Pfeife aber beiseite legt, ergreift er Partei. Günter Gehlker lebt mitten im Ruhrgebiet und liebt die TSG 1899 Hoffenheim. Eigentlich ist der Schiedsrichter Schalker, seit vielen Jahren schlägt in dem 77-Jährigen allerdings ein „Doppelherz“, wie er es nennt. Tendenz Hoffe.
Ralf Rangnick hatte 2006 erstmals sein Interesse an den Kraichgauern geweckt, als er nach seiner Trainer- Station auf Schalke bei der TSG unterschrieb. „Das habe ich natürlich verfolgt.“ Zwei Jahre später war Gehlker so angetan, dass er den Fanclub Essen/Ruhr TSG 1899 Hoffenheim und weitere zwei Jahre später die Ruhr-Freunde Essen gründete. „Aus einer Bierlaune heraus“ sei das damals entstanden. Harald, der Wirt seiner Stammkneipe, und er waren vom attraktiven Offensivfußball der TSG so begeistert, dass Gehlker einen Brief an den Verein schickte und nach den Voraussetzungen für die Gründung eines Fanclubs fragte: „Aufgrund Ihres attraktiven Fußballs und Ih- rer professionellen Vereinsführung, was wir in Essen als Großstadt seit vielen Jahren bedauerlicherweise vermissen, haben wir uns dazu entschlossen, einen Hoffenheim-Fanclub aus der Taufe zu heben“, schrieb er. Der TSG-Fanbeauftragte Mike Diehl schickte mit seiner Antwort direkt ein paar Klub-Accessoires in den Pott. Mittlerweile zählt der Fanclub 90 Mitglieder.
Besonders in der Anfangszeit war das Interesse an den Exoten-Fans im Revier groß. Ein Fernsehteam und ver- schiedene Zeitungen berichteten, schräg angeschaut wurden die Hoffe-Anhänger laut Gehlker aber nie. Im Gegenteil: „Wenn ich samstags ein Spiel hatte, haben mir die Spieler in der Halbzeitpause immer gesagt, wie es bei Hoffenheim steht.“
Die Schlusstabelle hätte er sich noch vor wenigen Monaten nicht träumen lassen. Da tippte Gehlker die TSG zum Saisonende zwischen Platz sechs und neun. Entsprechend groß war der Jubel, als er sich die Bundesliga-Konferenz des letzten Spieltags mit
Gleichgesinnten in einer Kneipe anschaute. „Champions League – ein Traum. Dass Nagelsmann das mit diesem Team, nach all den Abgängen und Ausfällen, geschafft hat, kann man gar nicht hoch genug einschätzen“, findet er. Gehlker hat sich fest vorgenommen, zu ei- nem Champions-League-Heimspiel nach Sinsheim zu fahren. Ohnehin reist er mit seinem Fanclub öfter zu Auswärtsspielen in ganz Deutschland. „Sommerfest, Weihnachtsfeier, einmal im Monat unsere Versamm- lung im Fanclub-Lokal – wir unternehmen viel.“ Was er neben dem Offensivfußball so an der TSG schätzt, ist die professionelle und konsequente Jugendarbeit. „Die bringt regelmäßig neue Talente hervor.“
Er selbst verschrieb sich dem Fußball schon früh. Als Jugendlicher kickte der Essener für den SV Kray 04. „Ich war der schnellste Rechtsaußen der Stadt“, erinnert er sich. Die 100 Meter habe er damals in 11,5 Sekunden geschafft, aber: „Ich hätte frei vorm Tor stehen können und hätte den Ball nicht untergebracht. Ich konnte einfach nicht schießen.“ Also schlug der gelernte Exportkaufmann 1962 mit 22 Jahren die Schiedsrich- terlauf bahn ein. Er schaffte es bis in die Verbandsliga, damals die höchste Amateurliga. Der Profibereich habe ihn schon gereizt, das ließ sich allerdings nicht mit seinem Beruf vereinbaren. Seine letzte Partie in der Kreisliga A leitete er vergangenes Jahr. Seither be- schränkt er sich auf Altherren-Spiele. Heute gibt es in Deutschland wohl nur wenige Schiedsrichter, die auf so viele Jahre im Dienst des Fußballs zurückblicken können. Wie viele Spiele es in all den Jahren waren, weiß er nicht. Vierstellig? „Locker!“
Der absolute Höhepunkt seiner Karriere war das Freund- schaftsspiel zwischen dem ASV Werden und den Schalke- Profis 1977 im Essener Grugastadion. „Klaus Fischer, die Kremers-Zwillinge, Rolf Rüssmann, Rüdiger Abramczik – die sind mit der kompletten Kapelle aufgelaufen. Werd’ ich nie vergessen.“ Ebenso die Par- tie der Traditionsmannschaften von Schalke 04 und Schwarz-Weiß Essen, wo er 2005 den damaligen Mana- ger der Königsblauen, Rudi Assauer, kennenlernte.
TSG HOFFENHEIM
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