Page 74 - Spielfeld_Mai_2018
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Längst aber ist Kettemann in den Job gewachsen, hat die Löwen mit auf Wachstumskurs gebracht. „Zweistellige“ Zuwachsraten, kann Kettemann verzeichnen. Der sportliche Erfolg mit zwei Meistertiteln nacheinander spielen ihr selbstredend in die Kar- ten, auch in die Schlussphase der laufenden Spielzeit gehen die Löwen als Tabellenführer. „Die Erfolge haben natürlich enorm geholfen, den Klub zu verankern“, sagt Kettemann. „Die Auf- merksamkeit der Bevölkerung ist da.“ Und die Zielgruppe ist klar umrissen. „Wir wirken eher in der Fläche. Wir heißen ja nicht umsonst Rhein-Neckar Löwen, wir wollen ein Klub der ganzen Region sein.“ Der Zuschauerschnitt von rund
8.500 Besuchern in der vergangenen Saison ist außerordentlich, durch den neuen TV-Vertrag ist der Bundesliga-Handball auch öffentlich wieder
ein wenig sichtbarer. Sky überträgt jedes Spiel,
die öffentlich-rechtlichen Sender besitzen das Nachverwertungsrecht. Und neben dem Wochenende ist inzwischen der Donnerstag zum festen Handball-Tag geworden.
„Wir wollen uns aber sportlich dauerhaft in der
Spitze etablieren.“ Aber eben nicht um den Preis eines wirtschaftlichen Harakiris. Denn der USP, wie Marketingstra- tegen es nennen würden, also das Alleinstellungsmerkmal, der Markenkern des Klubs, liegt woanders: „Wir sind ein sehr bodenständiger Klub, mit sympathischen Jungs, nahbar.“ Dar- auf legt Kettemann Wert. So wie die erfrischend unprätentiöse Geschäftsführerin selbst, die gern auch mal Chucks zum Bu- siness-Outfit trägt. „Wir haben hier zu unseren Partnern und Sponsoren eine sehr enge Bindung, es ist alles sehr familiär.“ Es ist auch ein Stück Demut dabei, nach den Jahren der Groß-
mannssucht unter Investor Jepser Nielsen, der die Löwen quasi über Nacht mit viel Geld zum Primus machen wollte – und stattdessen einen finanziellen Scherbenhaufen hinterließ. „Man wusste ja damals nicht, ob man die Tür am nächsten Tag wieder aufmacht oder abschließt“, sagt Kettemann über die Zeit bis 2012, die sie selbst als Fan erlebte. „Rückblickend ist es wohl das Beste, was dem Klub passieren konnte. Der ganze Verein ist dadurch zusammengerückt.“
Doch so stringent und strukturiert Kettemann die Löwen führt, den Klub wirtschaftlich entwickelt, so chao- tisch muss ihr manchmal noch die Handball-Welt erscheinen mit den Eitelkeiten und Eifersüch- teleien, die zuletzt etwa dazu führten, dass die Löwen wegen der fehlenden Einigung der Handballverbände auf einen Spielter- min im Champions-League-Achtelfinale in Kielce mit einer besseren A-Jugend antreten mussten. „Das war ein Armutszeugnis für den Handball“, sagt Kettemann, „und wir waren von vornherein die Verlierer“. Das krachende wie kalkulierte Aus gegen Kielce war ihre Form des Protests. „Manchmal bin schon verblüfft. Ich verstehe die unterschied- lichen Interessenlagen, aber eigentlich ist es doch nicht so schwer, solche Dinge wie die Terminierung zu gestalten. Da muss man Regeln definieren, die Prozesse runterschreiben und sich daran halten.“ Klingt simpel. War es aber nicht. Jennifer Kettemann zuckt mit den Schultern. „Bei dem ein oder anderen Meeting habe ich schon gedacht, es wäre ganz gut, wenn hier etwas weniger Testosteron walten würde.“ Sie
lächelt. Eigentlich mag sie keine Klischees.
  Stolze Titelträger: Jennifer Kettemann und Handball-Weltmeister Oliver Roggisch mit der Meisterschale. Mit dem Sportlichen Leiter der Rhein-Neckar Löwen bildet die 36-Jährige das derzeit erfolgreichste Duo des deutschen Handballs.
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