Page 83 - Spielfeld_März_2018
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 ZUM BUCH
Bernd-M. Beyer:
Helmut Schön. Eine Biografie 544 Seiten, Hardcover, 2.,durchgesehene Auflage 2018
ISBN: 978-3-7307-0316-8 Preis: 28,00 Euro
Ausgezeichnet als „Fußballbuch des Jahres 2017“ von der Deutschen Akademie für Fußballkultur
Schön war schlicht „Der Mann mit der Mütze“. Nicht von ungefähr ziert dieses Foto die Biografie, die der preisgekrönte Fußball-Autor Bernd-M. Beyer vorgelegt hat und die bereits zum „Fußballbuch des Jahres 2017“ gekürt wurde. Um es vorweg zu sagen: zurecht. Denn diese 544 Seiten machen nicht nur Fußball-Historie nochmal erlebbar – sie führen den Leser auch durch deutsche Geschichte.
Der Fußball ist stets auch als Sinnbild der Gesellschaft verstan- den worden; so gilt das Wunder von Bern 1954 als „Geburts- stunde“ der Bundesrepublik. Und die Elf, die den WM-Titel in der Schweiz holte und Deutschland endgültig zurück in die Nationengemeinschaft führte, wurde trainiert von Sepp Herberger. Der „Chef“ wurde so zur Legende – und Herberger entsprach in seiner knorrigen Art und seinen konservativen Ansichten durchaus dem Zeitgeist. Und Helmut Schön? Ihm gebührt die Ehre, den autoritären Führungsstil, der sich auf Befehl und Gehorsam verstand, das Denken der Adenauer-Ära, überwunden zu haben. Zum einen, weil es ohnehin seiner eher ruhigen, harmoniebedürftigen Persönlichkeit entsprach, zum anderen aber auch, weil die gesellschaftliche Zeitenwende längst eingesetzt hatte. Wo der neue Kanzler Willy Brandt „Mehr De- mokratie wagen“ zur Maxime erhob, wo ein Spieler wie Günter Netzer seinen Ferrari vor der eigenen Disko ‚Lovers Lane‘ parkte und Paul Breitner pseudo-rebellisch mit der Mao-Bibel posierte, da war es Helmut Schön, der es mit seinem kooperativen Füh- rungsstil und dem Recht auf Mitsprache verstand, aus diesen Persönlichkeiten eine Mannschaft zu formen, die auch dem deutschen Fußball aufgrund ihrer Spielweise neues Ansehen verschaffte. Dazu gehört auch immer Mut, dem man dem als Zauderer verrufenen Schön durchaus lange absprach. Nicht von ungefähr gehört der erste deutsche Sieg im Mutterland des Fußballs, das formidable 3:1 von Wembley auf dem Weg zum EM-Titel 1972, auch fast fünf Jahrzehnte später noch zu den besten Spielen einer DFB-Elf in der Geschichte.
Doch diese Biographie verlässt sich nicht darauf, die sportli- chen Glanzlichter (und Tiefpunkte wie das blamable Aus in der Qualifikation zur EM 1968 in Albanien) Revue passieren zu lassen: Es ist eine exzellent recherchierte, mit vielen neuen Details gespickte und gefällig formulierte Reise durch das be- wegte Leben eines Mannes, der vielleicht so viele Wendungen erlebt hat wie kaum ein Trainer sonst. Helmut Schön wurde 1915, während des Ersten Weltkrieges, in Dresden geboren, begann – gegen den Willen seines Vaters, eines liberalen Dresdener Kunsthändlers – mit dem Volkssport Fußball und wurde, geprägt von modernen Trainern wie dem Schotten Jimmy Hogan, zum Nationalspieler. Schön war ein technisch versierter Stürmer, führte den Dresdner SC zu zwei Deut- schen Meisterschaften – und einzig sein dauerhaft malades Knie verhinderten mehr als 16 Länderspiele (und dabei 17 (!) Tore) im DFB-Dress. So wurde Schön früh (Spieler-)Trainer, er kickte im Zeichen des Hakenkreuzes, er wurde der erste Auswahltrainer der sehr jungen DDR. Schön war kein Homo politicus, kein Widerstandskämpfer, aber ganz sicher auch weder Nazi noch Sozialist.
Es war Sepp Herberger, der ihn dereinst in den Westen lockte, ihm die Stelle als Verbandstrainer im (damals noch unabhän- gigen) Saarland verschaffte – mit dem Schön, welch‘ Pointe, dann in der Qualifikation zur WM 1954 Herbergers DFB-Elf unterlag. Bernd-M. Beyer hat unzählige Briefwechsel und private Aufzeichnungen dokumentiert, die einen hochinteres- santen Einblick geben in das Verhältnis dieser beiden großen Trainer, das zunehmend von Spannungen begleitet war und später, nach der WM 1966, auch zum Zerwürfnis führte. (Erst kurz vor Herbergers Tod kam es zur Aussöhnung mit seinem früheren Assistenten).
Die wunderbare Biografie zeigt in all ihrer Dichte aber auch den Prozess der Professionalisierung des Fußballs vom „11 Freunde müsst ihr sein“ bis hin zu den harten Prämienverhandlungen mit den Spielern und offenen Boykott-Drohungen durch die Spieler. Helmut Schön aber, das legt diese Biographie nahe, ist sich in all der Zeit auf erstaunliche Weise immer treu geblieben: Und das ist sicher nicht das Schlechteste, was man über einen Menschen sagen kann.
Der „Chef“ und der „Lange“: Bundestrainer Sepp Herberger (l.) mit seinem Assistenten Helmut Schön.
Region
   SPIELFELD TSG HOFFENHEIM
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