Page 54 - Spielfeld_September_2017
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  Mit dem Badener Lied aus den Lautsprechern ging es weiter in Richtung Ziel. Als Bus 1 dann gegen 12 Uhr Ortszeit – nach gut 20 Stunden Anreise – die Stadtgrenzen Liverpools pas- sierte, legte Zachler die Reds-Vereinshymne „You’ll never walk alone“ von Gerry & The Pacemakers ein. Es war nicht das letzte Mal, dass die Kraichgauer an diesem Tag mit einstimmten.
Natürlich waren die Busreisenden nicht die einzigen TSG-Fans in der Stadt. Familie Zuth aus Siegelsbach etwa war schon seit 10 Uhr dort. Andreas Zuth, seine Kinder Larissa und Robin sowie Schwiegermutter Waltraud Becker starteten nachts um 1.30 Uhr mit dem Auto nach Düsseldorf. Von dort aus flogen sie nach Manchester und reisten mit dem Bus weiter nach Liverpool. Von Düsseldorf und auch von Frankfurt waren etliche Flieger Richtung Manchester am Dienstag und Mittwoch gut besetzt mit Hoffe-Anhängern. Überall misch- ten die TSG’ler dann ihr Blau in das Liverpooler Rot. „Die Hoffenheim-Fans waren in der ganzen Stadt verteilt – am Hafen, im Beatles-Museum, im Fanshop und in den Pubs. Das war schon etwas ganz Besonderes“, schwärmt TSG-Volunteer Andreas Zuth.
Mattias Kaiser schloss Freundschaft mit einem Pub-Besitzer, ein FC-Liverpool-Fan: „Er war sogar beim Hinspiel in Sinsheim mit dabei und zeigte uns Fotos von seiner Reise, unter ande- rem auch von Heidelberg.“ Der Gastronom habe sich gefreut, dass so viele Hoffenheimer in seine Stadt gekommen waren und wünschte ihnen viel Spaß – „aber nicht zu viel.“ Ganz anders dagegen die Fans der „Blauen“, des FC Everton, dem städtischen Rivalen. Deren Stadion, der Goodison Park, liegt nur einige Hundert Meter von der Anfield Road entfernt. Kaiser: „Sie wünschten uns viel Glück und manche meinten: ,Haut sie weg!’“
Rund 1000 TSG-Fans machten sich am Spieltag in einem gut einstündigen Marsch gemeinsam auf den Weg ins Stadion. Ein blauer Lindwurm schlängelte sich durch Liverpool. Mit- tendrin Familie Zuth. „Das war schon sehr beeindruckend, einige Leute haben sogar mit ihren Handys gefilmt, wie wir zum Stadion gezogen sind. Es war alles bestens organisiert und friedlich“, sagt Andreas Zuth.
Für den Großteil der Fans war es das erste Mal Anfield. „Schon von außen hebt sich das Stadion von anderen ab. Der geschmiedete Torbogen mit dem Slogan ,You’ll never
walk alone’ oder das Hillsborough-Denkmal – du kannst die Tradition atmen. Als ich dann im Stadion stand, habe ich erstmal innegehalten“, erzählt Kaiser. Für seinen Neffen sei es ohnehin das Allergrößte gewesen.
Bei der Hymne „You’ll never walk alone“ sang auch der Groß- teil der Kraichgauer „Blauen“ mit und reckte die Schals in den englischen Fußball-Himmel. Kaiser: „Tausende filmten diesen Moment. Viele haben mir vorher erzählt, dass auch das ein Grund war, warum sie mitgefahren sind – diesen großen Moment einmal live erleben.“ Von der Stimmung waren die Hoffenheimer schwer beeindruckt: „Wenn die Fans ihr Team anfeuern, vibriert die Tribüne“, sagt Kaiser. „Die erreichen eine Lautstärke, da können wir in der Bundesliga nicht mithalten“, bestätigt Zuth. Er sei schon mehrmals im Signal Iduna Park der Borussen gewesen, aber dagegen käme selbst die „Gelbe Wand“ nicht an.
Trotz der frühen Gegentore unterstützten die Hoffenheimer Fans ihren Verein lautstark: „Unser Block war toll. Egal, ob jung oder alt – jeder hat mitgemacht und war voll dabei. Auch die, die sonst im Stadion vielleicht etwas ruhiger sind“, erzählt Kaiser, der sowohl für das Hin- als auch für das Rückspiel seine Urlaubspläne geändert hatte. Mit der Niederlage hatte – trotz anfänglichem Optimismus – der eine oder andere dann wohl doch gerechnet. „Wir wussten doch alle, dass es ganz schwer wird. Ich hatte nicht den Eindruck, dass irgendjemand sauer auf die Mannschaft war“, meint Zuth. Er denkt olympisch: „Dabei sein war alles.“ Der Siegelsbacher gehe schon seit 40 Jahren ins Fußballstadion, auch international, aber dieser Trip sei definitiv ein „absolutes Highlight“ gewesen.
Das einzigartige Fußball-Erlebnis überwog die Enttäuschung: „Die Stimmung, die Stadt, die immense Gastfreundlichkeit, die Tradition – unisono meinten die Leute: ,Bin ich froh, dass ich das erleben durfte. Das war das Größte überhaupt!’“, sagt Zachler. Pünktlich um 22.10 Uhr rollte die Hoffenheimer Kolonne in Richtung Heimat ab. Für die, die nach der erneu- ten Niederlage gegen die Roten doch noch etwas geknickt waren, gab es musikalischen Trost. Stefan Waggershausen sang in Bus 1 aus den Boxen: „Das erste Mal tat’s noch weh, beim zweiten Mal nicht mehr so sehr...“ Von „You’ll never walk alone“ hatte die Truppe erstmal genug. Zachler: „Das heben wir uns für das Euroleague-Finale in Lyon auf, wenn wir wieder auf die ,Reds’ treffen. Und dann sind sie fällig!“
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