Page 16 - Spielfeld_Dezember_2016
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                Aber im jungen Alter kommen plötzlich viele Menschen in dein Leben, die alle was von dir wollen, das muss man erst- mals einordnen können, weil man ja menschlich noch gar nicht so gefestigt ist, dass man genau weiß, mit wem man es da zu tun hat und wie man damit umgeht. Aber am Anfang ist natürlich alles toll und schön.“
Und dann siehst du Deine Rolle mittlerweile schon als Mahner?
„Es ist schon so, dass junge Spieler oftmals Berater und ein Umfeld haben, das ihnen einflüstert, wie gut sie sind. Das ist auch okay, aber ich war immer der Typ, der in der Kabine auch mal einen zurechtgewiesen
hat, wenn er mal nicht weiß, wie er sich richtig zu benehmen hat und der da- rauf achtet, dass die Jungs Bälle und Tore tragen. Ich bin ja auch Familienvater, vielleicht habe ich das von zu Hause so drin (lacht).“
Auch an der Seitenlinie hat sich viel verändert, die junge Trainergene- ration übernimmt im- mer mehr Klubs. Wie beurteilst Du die Ent- wicklung?
Du hast in Deiner Laufbahn schon viel erlebt, lange ist die Karriere wellenförmig verlaufen. Bei der TSG hast Du Dich auf Anhieb durchgesetzt und triffst auf Top-Niveau. Was denkst Du über Deine sportliche Entwicklung?
„Ich bin kein Freund davon, zu sagen, dass es bei mir in Bremen oder Berlin nicht gut lief. Ich hatte dort auch gute Phasen, habe in der Champions League gespielt und einen großen Anteil daran, dass Werder nicht abgestiegen ist. Der Unterschied zu den vergangenen eineinhalb Jahren ist aber, dass ich mein Können nun konstant zeige und zeigen darf. Ich spiele regelmäßig und bin beschwerdefrei, das ist für mich das
A und O. Ich brauche mei- ne volle Fitness, da ich ja ständig in Zweikämpfe verwickelt bin. Seitdem ich fit bin und spiele, ist die Statistik auch besser.“
Sind Deine momenta- nen Leistungen nur eine Genugtuung für Dich selbst oder denkst Du auch an frühere Kritiker?
„So denke ich nicht. Klar freue ich mich, weil ich immer wusste, dass ich viele Tore mache, wenn ich eine Saison durchspie- le. Es gibt immer noch viele, die mich kritisch sehen. Aber die gibt es bei jedem Spieler, bei mir vielleicht noch mehr, weil ich polarisiere und durch meine Länge mehr auffal- le. Aber ich nehme das niemandem übel, stehe über den Dingen und finde es auch völlig in Ordnung, wenn mich einer schlecht findet – so lange das auf normalem Niveau bleibt.
 Sandro Wagner im Duell mit seinem späteren Trainer Julian Nagelsmann.
„Ich erinnere mich noch gut an die Spiele gegen Julian. Die Derbys gegen 1860 waren immer heiße Duelle.“
„Ich finde das sehr interes-
sant. Man sieht nun, dass
man kein Profi gewesen
sein muss, um ein guter
Trainer zu sein. Ich bin
kein Freund von Trainern,
die nur schematisch den-
ken und bloß ihre Taktik
im Kopf haben. Darum ist
Julian so ein guter Trainer:
Er hat taktisch alles drauf,
moderne Spielzüge und
alle Entwicklungen, auf
der anderen Seite sind
für ihn Leidenschaft und
Kampf aber mindestens genauso wichtig. Das ist eine super Kombination, die ich jedem Trainer empfehle. Mit Emotion, Leidenschaft und Kampf gewinnst du Spiele, nur über Taktik funktioniert das nicht. Julian verbindet das perfekt.“
Glaubst Du, dass die ältere Generation die jungen Spieler nicht mehr erreicht?
„Klar, das kann man vergessen. Sie bekommen keine Bindung mehr zu den Spielern. Es gibt natürlich Leute wie Carlo Ance- lotti, die mit der Zeit gehen und sich immer weiterentwickeln. Aber die, die wie früher mit harter Hand regieren wollen, funktionieren nicht mehr. Spieler sind heutzutage viel mehr zu motivieren und mitzureißen, wenn man auch mal frei gibt oder was mit der Mannschaft macht. Mit Straftraining und runtermachen geht nichts mehr, heutzutage muss ein Trainer anders arbeiten.“
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SANDRO WAGNER
Deswegen verspüre ich auch keine Genugtuung, weil mich Meinungen außerhalb meines Umfeldes nicht interessieren.“
Bei der TSG läuft es ausgezeichnet – für die Mannschaft und Dich persönlich. Was macht Dich so stark? „Bislang lief es gut, und ich versuche, mein Puzzlestück dazu beizutragen. Ich möchte insgesamt als Stürmer wahr- genommen werden, der nicht nur an der Torquote gemessen wird. Ich arbeite vor allem viel fürs Team, und das ist mir wichtig, dass das honoriert wird. Ich mache viele Laufwege frei für die Mitspieler, gehe entgegen und helfe statt vorne zu warten, weil ich nur die Tore machen möchte. Das sieht man im Spiel auch bei uns. Und die, die Ahnung vom Fußball haben, honorieren das.“

































































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