Page 72 - Spielfeld_August_2016
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DIE AUFREGENDE JAGD NACH DEM LÄNDERPUNKT
Der Hoffenheimer Stefan Herzel hat eine große Leidenschaft: Fußballstadien. Dafür ist ihm kein Weg zu weit, der Groundhopper hat bereits Fußballplätze in 19 Staaten besucht.
S tefan Herzel ist ein leidenschaft- licher Sammler, kann mit Brief- marken oder Kronkorken aber
wenig anfangen. Denn der 28-Jährige strebt nach Höherem als nach kleinen Antiquitäten – er sammelt Stadien. Oder genauer formuliert: Stadionbesuche. Der Hoffenheimer ist Groundhopper, tingelt seit vier Jahren durch die Welt, um so viele Fußballstadien oder Spielfelder (Englisch: Grounds) wie möglich zu besuchen. Seine bisherige Bilanz: 171 Grounds in 19 Ländern, insgesamt hat er schon weit über 400 Spiele besucht.
Die Beweise und einen Teil der Erinne- rungen bewahrt er nicht etwa in einem goldenen Schrein auf – sie liegen in einer Tüte. Für SPIELFELD leert der 28-Jährige den Beutel, breitet den Inhalt auf einem runden Holztisch aus und staunt selbst ein wenig über die zum Vorschein kommenden Andenken. Hin- ter jeder Karte stecken eine Reise und mindestens eine Geschichte. „Meine erste richtige Groundhopping-Tour ging zusammen mit drei Freunden nach Berlin. Hoffenheim spielte im August 2012 im DFB-Pokal gegen den Berliner AK 07 im Poststadion.“ Sein Team verlor 0:4, doch Herzel gewann eine neue Leidenschaft. Auf der Rückreise schauten sie sich noch das Heimspiel des FC Erzgebirge Aue ge- gen Eintracht Frankfurt an. „Früher war ich nur in Stadien der Umgebung oder eben bei der TSG. Irgendwann wurden andere Arenen, Plätze und Kulturen aber interessanter“, sagt Herzel.
Die estnische zum Beispiel. Mit zwei Freunden fuhr er mit dem Auto 2.800 Kilometer in die Hauptstadt Tallin, wo der Erstligist Flora Tallinn in der A. Le Coq Arena spielte. 18 Stunden dauerte die Hinfahrt – das Spiel aber sah der Kraichgauer dann nicht komplett. Auf dem Weg zur Toilette verlief er sich im menschenleeren Stadion, stand plötzlich im Sicherheitsbereich der Polizei und kurze Zeit später auf dem Stadiondach. Nach einigen Minuten und Klopfen an verschlossenen Türen schaffte er es zurück auf seinen Platz. Auf der Reise besuchten sie auch noch drei andere Stadien, zwei in Litauen und eines in Lettland.
„Mich interessieren Stadien. Wie alt sind sie? Wie sind sie auf- gebaut? Was ist dort schon alles passiert?“ STEFAN HERZEL
Vor seiner Hopping-Karriere reiste Herzel, der bis zur B-Jugend selbst für die TSG kickte, nicht viel. „Richtig Urlaub habe ich nie gemacht.“ Inzwischen ist er fast immer auf Achse. Erst kürzlich war er mit seiner Freundin in Barcelona und besuchte dort das Camp Nou. Die Flüge kosteten gerade einmal 22 Euro pro Strecke. Andere Touren fallen dagegen unerwartet teuer aus. Für den Länder-
punkt Liechtenstein brauchte er drei Anläufe: „Beim ersten Mal wurde ich kurz vor der Abfahrt nach Vaduz krank, beim zweiten Mal haben wir 50 Kilometer vor Vaduz mitbekommen, dass das Spiel abgesagt wurde.“ Zwei Wochen später versuchten sie es erneut. Mit Erfolg. Doch auf der Rückfahrt platzte ihm ein Autoreifen. Herzel: „Das war mein mit Abstand teuerster Länderpunkt.“
Die Regeln der Groundhopper (aus dem Englischen „to hop“ – hüpfen) variieren. Grundvoraussetzung ist, dass ein Spiel stattfindet. Für Herzel gilt ein Ground als „gemacht“, wenn 22 Spieler und ein Schiedsrichter auf dem Platz stehen und er mindestens eine Halbzeit der Partie gesehen hat. Wenn er ein Stadion in einem neuen Land besucht, erhält er dafür einen „Länderpunkt“. Seine Trips trägt er in eine App ein, die sämtliche Daten archiviert. Die Idee, Groundhop- ping organisiert zu betreiben, stammt von der Insel – und ist schon vier Jahrzehnte alt. Im Jahr 1974 schlug der Brite Geoff Rose vor, für Anhänger, die alle 92 Stadien der vier englischen Profiligen besucht hatten, eine spezielle Krawatte zu produzieren. Vier Jahre später wurde der so genannte „92 Club“ gegründet; in Deutschland breitete sich das Phänomen dann erst Anfang der 90er Jahre richtig aus.
Die Spiele an sich stehen dabei auch für den Hoffenheimer Herzel nicht im Fokus. „Mich interessieren Stadien.
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