Page 31 - Spielfeld_April_2016
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                    A ls das Abenteuer begann, wusste Alfred Schreuder nicht, wo es stattfindet. Wenige Wochen, nachdem sein Engagement als
Cheftrainer des niederländischen Clubs Twente Enschede im Oktober 2015 ein abruptes Ende genommen hatte, unterbrach ein Anruf die un- gewohnte Ruhe im heimischen Wohnzimmer. Huub Stevens meldete sich am anderen Ende der Leitung – wortkarg und mit einem nebulösen Angebot. „Wirst Du mein Assistent, wenn ich morgen einen Bundesligisten übernehme?“ Schreuder sagte nach einigem Zögern zu – und suchte in der Tabelle nach Auskünften über seinen künftigen Arbeitgeber. Allerdings führte ihn das Klassement auf eine falsche Spur: „Ich dachte, er geht schon wieder zum VfB Stuttgart.“
Einen Tag später, die Koffer bereits gepackt, löste Stevens das Rätsel. TSG 1899 Hoffenheim. Kraichgau. Absolutes Neuland für den 43-Jährigen – der nach der Ankunft bei der TSG aber schnell beeindruckt war. „Die Anlage in Zuzenhausen ist unglaublich. Und landschaftlich ist es hier wunderschön. Wenn ich vom Trainingsplatz die Hügel in der Umgebung sehe, halte ich manchmal kurz inne. So etwas gibt es in den Niederlanden ja kaum. Dazu kommt, dass Heidelberg traumhaft ist. Aber auch kleinere Städte wie Wiesloch sind wirklich schön. Ich fühle mich hier sehr wohl.“ Daran ändert auch nichts, dass Schreuder seit seiner Ankunft im Hotel wohnt und seine Familie nur einmal in der Woche sieht, wenn er die 480 Kilometer nach Hause fährt oder Besuch aus der Heimat erhält.
Trotz der Distanz ist er froh, auch nach dem Abschied von Stevens im Kraichgau geblieben zu sein und weiterhin die Trainingseinheiten in einer Mischung aus Englisch und Deutsch plus hübschem niederländischen Akzent zu leiten. Dabei war sein erster Impuls ein anderer. Aus Verbundenheit zu Stevens, der ihn und seinen Bruder Jan-Dirk „Dick“ einst als Teenager in die Jugend-Akademie des PSV Eindhoven ge- holt hatte: „Huub hatte mir ermöglicht, in der Bundesliga zu arbeiten. Mein erster Gedanke war: Ich bin hier, weil er hier ist. Und wenn er auf hört, höre ich auch auf.“ Aber Aufgeben war für Schreuder zuvor nie eine Option gewesen:
„Ik bin geen wegloper“, sagte er dem niederländischen Magazin ‚Voetbal totaal‘ im Februar – und erinnerte sich an seine Mission: „Ich bin hier hingekommen, um den Abstieg zu verhindern. Dafür möchte ich jeden Tag 100 Prozent geben. Die TSG war sehr gut zu mir, da wäre es schwach gewesen, einfach zu gehen.“
Es folgten Gespräche mit Alexander Rosen und Trainer Julian Nagelsmann. Schreuder fühlte die Wertschätzung des Clubs und das Potenzial des neuen Trainerteams. „Huub konnte wegen seiner Gesundheit nicht mehr 100 Prozent geben, ich aber schon. Ich bin sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Das zeigt aber auch, wie wohl ich mich hier nach kurzer Zeit fühle.“ Dabei ist Hoffenheim in der langen Karriere Schreuders die erste Station im Ausland. Als Profi lief der frühere Junioren-National- spieler in 338 Spielen in der Ehrendivision auf. Seine größte Zeit erlebte er als defensiver Mittelfeldspieler bei Feyenoord, wo er unter anderem von Erwin Koeman und Bert van Maarwijk trainiert wurde – und mit späteren Stars wie Robin van Persie und Dirk Kuyt zusammenspielte.
„Das war die schwerste Zeit in meinem Leben.
Und es ist noch immer schwer.“
ALFRED SCHREUDER ÜBER DEN TOD SEINER TOCHTER
Nach Jahren, in denen es sportlich und privat nur bergauf ging, begann dann aber schlagartig ein prägendes, tieftrauriges Kapitel in Schreuders Leben. Das Schicksal traf ihn und seine Familie hart, als bei seiner Toch- ter Anouk im Jahr 2004 ein Gehirntumor diagnostiziert wurde. Im März 2006 starb sie im Alter von sechs Jahren. „Das war die schwerste Zeit in meinem Leben. Und es ist noch immer schwer“, sagt er zehn Jahre danach. Im Fußball fand er in dieser Zeit keine Ablenkung. Während der Erkran- kung seiner Tochter machte er kein Spiel, da er dreimal erfolglos an der verletzten Achillessehne operiert wird. Erst nach einer weiteren Operati- on kehrte er nach knapp zweijähriger Pause auf den Rasen zurück.
Alfred Schreuder (r.) 2004 im Trikot
von Feyenoord Rotterdam
Profis
 SPIELFELD TSG 1899 HOFFENHEIM
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