Page 67 - Spielfeld_November_2015
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 ZU VIEL LEBEN FÜR EINEN FILM
Region
Vor kurzem haben sie Glen Metropolit gefragt, wie es denn mit einer Verfilmung seines Lebens wäre. Dass der Stoff dafür taugt – keine Frage. Aber der Eisho- ckey-Profi der Adler Mannheim hat abgelehnt. Vorerst. Denn: „Die Story ist ja noch nicht zuende.“ Und wann sie zuende ist, wenigstens sportlich, darüber mag Glen Metropolit nicht viel nachdenken. „Noch kann ich mit den Jungen mithalten, und solange das so ist und ich es jeden Tag genieße, aufs Eis zu gehen, mache ich weiter.“ Mithalten ist ein bescheidenes Wort. Mit 41 Jahren ist der Kanadier noch immer einer der Top-Stars beim Deutschen Meister. Mehr als 1.400 Profi- spiele hat Metropolit jetzt in den Knochen, darunter 437 in der NHL, der besten Liga der Welt. Der Mittelstürmer war WM-Teilnehmer für Kanada 2006, hat schon in Finnland und der Schweiz seine Tore geschossen und vor allem seine feinen Vorlagen gegeben, gern und oft aus dem Bereich des linken Bullykreises, „Metro‘s office“, wie die Kommentatoren manchmal hochachtungsvoll sagen. Die guten Hände, das Stickhandling, sind sein Markenzeichen. Bis heute jongliert er vor jedem Spiel einen kleinen Ball auf dem Schläger, um die Auge-Hand-Koordination bereit zu haben für den richtigen Moment auf dem Eis.
Seinen Vater kennt er nicht, den Stiefvater traf er ein einziges Mal – im Gefängnis
Mit „Ball Hockey“ hat alles auch einmal angefangen, in Regent Park, seinerzeit eines der übelsten Viertel von Toronto. In der trostlosen Wüste aus 14-stöckigen Wohnhäusern aus den 40er Jahren ist Glen Metropolit aufgewachsen, umgeben von Gewalt, Alkoholismus, Drogenhandel und Perspektivlosigkeit. Seine Mutter Linda ist gerade 18, als Glen am 25. Juni 1974 zur Welt kommt. Seinen leiblichen Vater, ein Hells-Angels-Mit- glied, kennt er nur vom Hörensagen. Der Name Metropolit stammt vom Vater seines Halbbruders Bruders Troy. Glen hat den Stiefvater ein einziges Mal getroffen: bei einem Gefängnisbesuch. Es ist eine Kindheit in großer Armut, die Brüder wachsen mal bei der Oma, mal bei einer Tante oder in Kinderheimen auf, manchmal gemeinsam, manchmal getrennt. Auf den Straßen regiert die Kriminalität und lockt mit der Aussicht auf schnelles Geld. „Viele, die ich damals kannte, haben falsche Entscheidungen getroffen, manche von ihnen leben nicht mehr“, sagt Metropolit.
Einer, der falsche Entscheidungen getroffen hat, ist sein drei Jahre jüngerer Halbbruder. Während Glen sich längst in Eishockey verliebt hat und Tag für Tag Pucks gegen die Banden im „Regent Park South Rink“ donnert, gerät Troy in den Abwärtsstrudel. Kleineren Straftaten folgen größere, ehe
 SPIELFELD TSG 1899 HOFFENHEIM
 ein als Carjacking geplanter Überfall auf ein prominentes Anwalts-Ehepaar in einer Entführung endet. Als sein Bruder Glen gerade seine ersten Schritte im Profi-Eishockey macht, wird Troy zu 14 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis ersticht er einen Mithäftling. Nach 16 Jahren hinter Gittern ist Troy seit diesem Frühjahr unter strengen Bewährungsauflagen wieder draußen. „Er war als Kind ein guter Junge, der eine schlechte Wahl getroffen hat. Ich denke, er hat daraus gelernt. Er macht sich gut, und er hat viel Unterstützung, damit er nicht wieder straffällig wird“, sagt Glen Metropolit.
„Du musst immer härter arbeiten als der Mann neben Dir“ GLEN METROPOLIT
Er hat für sich einen anderen Weg raus aus dem Chaos von Regent Park gefunden. Er war der Junge, der immer einen Tennisball auf einem Hockeyschläger jonglierte. Er habe so- gar in der Kirche gebetet, Eishockeyprofi werden zu können, berichtet Metropolit. Und er kämpfte dafür. „Du musst immer härter arbeiten als der Mann neben Dir“, das hat er sich zum Motto gewählt. Als ihm ein Freund erzählt, er haben den da- maligen Kapitän der Toronto Maple Leafs, Doug Gilmour, im Sommertraining sechs Mal den Riverpark East Hill rauf laufen sehen, geht Metropolit hin – und läuft 15 Mal.
Aber der Weg ins Profi-Eishockey ist trotzdem schwer. Der junge Spieler schlägt sich mit geliehener Ausrüstung durch untere Junioren-Ligen, weit unterhalb des Radars der NHL- Scouts. Glen Metropolit wird nie gedraftet, doch er schafft es trotzdem. Am 2. November 1999 ist es soweit: Metropolit steht im Trikot der Washington Capitals beim Eröffnungsbul- ly gegen die Florida Panthers auf dem Eis und schaut in die Augen von Pawel Bure, „the russian rocket“, ein Superstar dieser Zeit. Es ist das NHL-Debüt und wie ein Film zieht alles an seinen Augen vorbei. „Ich wollte nicht überwältigt sein, aber ich hatte Ehrfurcht“, sagt er.
Vier Spielzeiten lang bleibt Metropolit noch in Nordamerika. Als er nur noch im Farmteam, den Portland Pirates, zum Einsatz kommt, geht er nach Europa. Für viele NHL-Profis ist das eine Einbahnstraße, aber nicht für Metropolit. Bei Jokerit Helsinki und HC Lugano ist er eine absolut spielprägende Figur, er wird Vizemeister in Finnland und Meister in der Schweiz. Nach der WM 2006 schafft er bei den Atlanta Thras- hers den Weg zurück in die NHL. Er wandert, spielt für Boston, St. Louis, Philadelphia, Montreal.
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