Page 76 - Spielfeld_September_2015
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 BREAKDANCE TRIFFT BACH
Niranh Chanthabouasy tanzt seit zehn Jahren bei der vierfachen Weltmeister-Crew „Flying Steps“. Angefangen hat alles in der Heidelberger Fußgängerzone.
„Lil Rock“ (kleiner Felsen), keinen Bezug zur klassischen Musik. Mit zwölf schaute er sich im Fernsehen ein Klas- sikkonzert an, bis seine Mutter ins Zimmer kam und meinte: „Gefällt Dir das? Du bist ja komisch.“ Er schal- tete um. „Das war es dann erstmal mit Klassik.“ Bis zur Flying-Bach-Produktion. Chanthabouasy brachte sich Gitarre und Klavier bei – autodidaktisch. „Ich habe mich in die Musik hineinversetzt, sie auseinandergenom- men und mich in das Thema eingearbeitet.“ Er spielte die Bach-Stücke auf dem Klavier, was ihm enorm dabei half, sie tänzerisch umzusetzen. „Viele Leute denken, das geht nicht, weil Bach viel zu komplex ist. Aber der Tanz hat sich in den letzten 100 Jahren entwickelt. Wir ver- suchen, alles aus der Musik herauszuhören und das zu übersetzen.“ Auch Breakdance und Barock sind für ihn keine Gegensätze. „Man kann alles lernen. Jede Form des Tanzes. Oder auch ein Instrument. Du musst dich nur
in die jeweilige Form hineinfühlen und den Ursprung verstehen. Dann macht alles Sinn. In die Schablonen und die Formen kann man dann ganz einfach reinkommen“, sagt Chanthabouasy und zitiert Bruce Lee: „Leere deine Gedanken! Sei ohne feste Gestalt und Form, so wie Was- ser. Wenn man Wasser in eine Tasse füllt, wird es zur Tasse. Füllt man es in eine Flasche, wird es zur Flasche. Sei Wasser, mein Freund.“ Die Bach-Produktion brachte der Truppe den Klassik-Sonderpreis des „Echo“ ein und sie bereisten damit die ganze Welt.
Chanthabouasy ist jetzt 35, auf eine lange Tour muss
er sich intensiv vorbereiten. Ob joggen, tanzen oder Fitnessstudio – viermal die Woche trainiert er. „Es ist nicht mehr wie mit 15. Da sagte ich mir: Jetzt geh’ ich auf die Bühne und baller’ meine Moves raus. Heute muss ich mich aufwärmen.“ So lange es geht, wird er weiter- machen. Und wenn ihn irgendwann die Schwerkraft in den Tanzruhestand zwingt, möchte er als Choreograf arbeiten. „Ich will meine Fähigkeiten weitergeben und mich kreativ austoben“, sagt er. „Und wenn die Beine nicht mehr können, kann der Finger immer noch Fotos machen.“ Seit einigen Jahren arbeitet Chanthabouasy nebenbei noch als Fotograf. Er hat es sich selbst beige- bracht. Chanthabouasy lächelt: „Wasser, mein Freund.“
Sei Wasser, mein Freund.“ Niranh Chanthabouasy war noch nicht geboren, als Kampfkünstler Bruce Lee diesen Satz 1971 in seinem einzigen TV-Inter- view in der „Pierre Berton Show“ prägte. Doch der Aus- spruch fand seinen Weg in das Leben des Tänzers, wurde seine Leitmaxime. Seit zehn Jahren ist Chanthabouasy, Jahrgang 1980, Mitglied der Flying Steps, einer der erfolg- reichsten Breakdance-Crews überhaupt. Aktuell ist er mit der Show „Red Bull Flying Bach“ unterwegs, bei dem er zu Johann Sebastian Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ tanzt.
Chanthabouasy, dessen Familie aus Laos und den USA stammt, spricht leise, kaum ein Wort zu viel. Verglichen mit seiner Bühnenpräsenz wirkt er im direkten Gespräch geradezu bewegungsscheu. Mit zwölf Jahren fiel Chant- habouasy ein Flyer in die Hände: ein Breakdance-Kurs im Jugendzentrum seiner Geburtsstadt Heidelberg. „Ich war dort, habe es ausprobiert und wusste sofort: Das ist mein Ding. Genau das will ich machen!“ Mit 15 verdiente er
in der Heidelberger Fußgängerzone sein erstes Geld. Mit einem befreundeten Breaker tanzte er zu Funkmusik aus dem Ghettoblaster und „ließ den Hut herumgehen“. Die „Southside Rockers“, eine Breakdance-Gruppe aus Süd- deutschland, nahmen ihn mit zu Jams und er wurde Teil der Crew. Die Wege trennten sich Anfang der 2000er Jah- re, die Mitglieder wollten „etwas Vernünftiges“ machen. Chanthabouasy war unvernünftig genug, mit dem Tanzen weiterzumachen und weiterzukommen. Allein das Talent mache noch keinen guten Tänzer. „Das reicht nicht. Es braucht ein hohes Maß an Professionalität. Ich habe viele Talente gesehen, die nichts daraus machten und irgend- wann verschwanden. Du musst hart arbeiten.“
Das junge Talent aus Heidelberg arbeitete hart, hatte etwas Glück und die richtigen Bekannten. Die „Flying Steps“-Crew kannte er von gemeinsamen Auftritten. 2003 war er mit einem Tanztheater-Ensemble unterwegs, des- sen Teil auch Benny Kimoto von den Steps war. „Er sah, wie ich arbeitete, was meine Stärken waren und fragte mich 2005, ob ich nicht mit ihnen am ‚Red Bull Beat Batt- le’ in London teilnehmen wollte. Wir gewannen. Und seit- her läuft es“, sagt Chanthabouasy. Auch 2007 gewannen sie das internationale Beat Battle und gründeten in Berlin die Flying Steps Dance Academy, die größte urbane Tanz- schule in Deutschland. Insgesamt wurde die Gruppe vier- mal Breakdance-Weltmeister. Das Bühnenprogramm „Red Bull Flying Bach“ steigerte die Popularität ein weiteres Mal. Vor dem Programm hatte Chanthabouasy, Künstlername
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