Page 74 - Spielfeld_August_2015
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                 Eines Tages kletterte César mit seinen Freunden auf einen Strommast. „Wie immer ging ich voran, war der Erste, der oben ankam. Es war noch nie Strom auf diesen Leitungen. Dann griff ich an das Kabel...“ Leszinski fiel 20 Meter tief, seine Kleidung fing Feuer. Er überlebte – aber sein rechter Arm musste amputiert werden. Der Torhüter-Traum schien geplatzt. Doch Leszinski machte weiter.
Heute, 22 Jahre später, trainiert er jeden zweiten und vierten Donnerstag im Monat mit seinen Mitspielern in Hoffenheim. Vor wichtigen Länderspielen, wie kürzlich die Partie gegen Belgien im Walldorfer Waldstadion (Deutsch- land siegte 3:2), trifft sich das Team schon einen Tag eher. Im Hoffenheimer „Anpfiff ins Leben“-Pavillon können die Spieler kostenlos übernachten und gemeinsam kochen und essen. Leszinski witzelt gerne, wird von seinen Teamkolle- gen als „immer gut gelaunte Stimmungskanone“ bezeich- net. Seinen Sport und das Training in Hoffenheim nimmt er aber verdammt ernst. Er hechtet jedem Ball hinterher, als gehe es um den WM-Titel.
Schon seit fünf Jahren ist Leszinski Torhüter der deutschen Nationalauswahl. Doch bis dahin war es ein weiter Weg: „Nach dem Unfall ging gar nichts. Ich konnte nicht mal richtig essen. Du musst komplett umlernen. Aber der Kopf arbeitet schneller als man denkt.“ Mehrere Male wurde Leszinski in Deutschland behandelt und operiert. Aufgrund der angespannten politischen Lage in seiner Heimat blieb er 1999 in Deutschland und lebt seither in Speyer. 2002 be-
DIE REGELN
Amputierten-Fußball wird grundsätzlich nach den Fuß- ball-Regeln gespielt; es gibt aber kleinere Anpassungen:
- Außenfeldspieler sollten zwei Hände, aber nur einen
Fuß/ein Bein haben. Torwarte sollten zwei Beine, aber
nur eine Hand/einen Arm haben.
- Das Spielfeld ist 51 Meter lang und 31 Meter breit, das
Tor ist 2 Meter hoch und 3 Meter breit und somit kleiner als ein reguläres Fußballtor. Der Ball entspricht dem FIFA-Standard.
- Ein Spiel dauert zweimal 25 Minuten mit einer Pause von 10 Minuten. Auf dem Feld stehen sechs Spieler und ein Torwart pro Team.
- Damen und Herren dürfen in einem Team spielen.
- Das Spiel wird ohne Prothesen an Metallkrücken ge-
spielt. Unterarmgehstützen sind internationaler Standard.
- Das Stoppen oder die Weitergabe des Balles mit den
Krücken wird als Handspiel gewertet.
- Der Torwart darf den Strafraum nicht verlassen.
- Auswechslungen sind unbegrenzt möglich.
Weitere Infos unter: www.amputierten-fussball.de
gann er als Feldspieler für Rot-Weiß Speyer zu spielen. Vor fünf Jahren sprach ihn ein Unbekannter auf der Straße an: „Wir brauchen Dich als Torwart!“ Leszinski zeigte ungläu- big auf seine rechte Oberkörperseite, aber er erschien zum nächsten Training. Die Feldspieler kickten mit Krücken und einem Bein. Leszinskis Position stand also fest.
In Deutschland ist die Sportart noch weitestgehend un- bekannt. Aktuell gibt es hier vier Vereine, in denen man Amputierten-Fußball spielen kann: die Spvgg 07 Ludwigs- burg, die Sportfreunde Braunschweig, der TSV Obergünz- burg sowie „Anpfiff ins Leben“ mit dem Trainingsstandort in Hoffenheim. Viele der aktuell knapp 30 aktiven Kicker müssen also weit reisen. Die Mannschaft um Leszinski – die Spieler sind zwischen Anfang 20 und Mitte 50 – muss sich trotz der Unterstützung von „Anpfiff ins Leben“ und Sponsoren noch weitestgehend selbst finanzieren. Aktuell strukturiert sich der Amputierten-Fußball in Deutschland neu. Das langfristige Ziel: einen Ligabetrieb etablieren. „In der Türkei gibt es zwei Profiligen, in Russland und Brasi- lien wird schon seit über 25 Jahren Amputierten-Fußball gespielt. Auch in Polen, England und Usbekistan hat der Sport einen völlig anderen Stellenwert“, sagt Mittelfeldspie- ler Christian Heintz.
Leszinskis großes Vorbild ist Manuel Neuer: „Ich will ir- gendwann auch Weltmeister werden. Daran arbeite ich hart.“ Bereitet er sich auf wichtige Spiele vor, steht er morgens um 4 Uhr auf und geht vor der Arbeit joggen. Au- ßerdem arbeitet er mit einem Torwarttrainer zusammen. Die Zeiten, in denen Leszinski mit seinem Schicksal ha- derte, sind vorbei. Eine Prothese kam für ihn nie in Frage: „Vielleicht wollte Gott es so.“ Er ist dankbar: „Ich habe eine zweite Chance bekommen, meinen Traum zu verwirkli- chen. Und er ist tatsächlich wahr geworden.“
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