Page 62 - Spielfeld_August_2015
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                Das Kuhgespann war wohl das letzte, das man in Hoffenheim Mitte der 50er Jahre zu sehen bekam. Die Frau war Christine.
Für die Kinder im Kraichgau barg das Erscheinen der Ame- rikaner zudem Abenteuer. „Wir durften bei ihnen auf dem Jeep mitfahren. Das war spannend, aufregend“, erinnert sich Hopp. Die Kinder haben eine eigene, spontane Art der Vergangenheitsbewältigung. Die Erwachsenen jedoch be- glichen alte Rechnungen. Hopp weiß noch sehr genau, wie eine der ansässigen Damen eines Tages rief: „Da hocken die Nazi-Buben auf dem Auto.“ Es war die Sippenhaft für sei- nen Vater Emil. Er war zwar nie Parteimitglied, als Lehrer aber nicht unüblich, Mitglied der SA und in das System der Nazi-Zeit verstrickt gewesen.
Dietmar Hopp hat sich der Geschichte seines Vaters, der bei seiner Geburt bereits 46 Jahre alt war und zu dem er „kein klassisches Vater-Sohn-Verhältnis“ mehr hatte, mit seinen Geschwistern Rüdiger und Carola später eindrucksvoll ge- stellt. Die daraus entstandene Freundschaft mit den beiden jüdischen Brüdern Menachem und Fred, die samt ihrer Eltern aus Hoffenheim deportiert wurden, hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Dietmar Hopp beschönigt nichts, er erklärt nur: Wie sein Vater habe büßen müssen in franzö- sischer Kriegsgefangenschaft und anschließend die Familie als Bauhilfsarbeiter in Mannheim durchbrachte, weil er aus dem öffentlichen Dienst suspendiert worden war. „Er hat auch einen Preis bezahlt.“
Der Krieg war vorbei, der Hunger, der Verzicht, die Armut aber blieben. Sie waren stärker als je zuvor. Die Kinder sammelten Zigarettenstummel auf, krümelten den Tabak mühselig zusammen und verhökerten ihn, tauschten ihn ein gegen etwas Essbares. Es hat ihn, wie alle in seiner Ge- neration, geprägt. Die Zerstörung, der Abstieg ebnete dabei
auch die vermeintlichen Standesunterschiede ein. Wenn niemand etwas hat, wollen alle nach oben. Die Mangelwirt- schaft hat die Sehnsucht nach wirtschaftlichem Erfolg be- fördert; dies gehört sicher auch zu den Erklärungsmustern für das, was später „Wirtschaftswunder“ genannt werden sollte. Die Nachkriegszeit war voller Marter, mit den Müt- tern, die abends mit dem kleinen, abgestoßenen Ausgabe- büchlein dasaßen und so lange rechneten, bis es auf den letzten Pfennig stimmte.
Alteisen sammeln für 50 Pfennig
Es gab wenig zu verteilen, aber dafür stetig mehr Men- schen, die ernährt werden mussten. Die Zuweisung von Flüchtlingen in die Region sorgte für ein starkes Bevölke- rungswachstum, Bauland musste erschlossen, die Stadt ausgedehnt werden. Es war Abriss und Auf bruch zugleich. Und die Zeit, in der sich die ersten Talente zeigten, in der Ehrgeiz gefragt war, Geschäftssinn und Schlitzohrigkeit. Dietmar Hopp sammelte in jener Zeit wie viele andere Alteisen ein („Am liebsten Kupfer, aber das gab es ja kaum“) und lieferte es beim Händler ab. Als jener ihm eines Tages 80 Pfennig geben wollte, protestierte der Siebenjährige: „Das ist zu wenig. Das müssen sie wiegen. Der Händler tat wie befohlen – und plötzlich waren es nur noch 50 Pfennig. Hopp hatte sich verpokert, aber der Nachbar, Herr Streib, nickte anerkennend: „Aus dem wird mal was.“ Er hat Recht behalten – und Hopp kann heute über die Episode herzhaft lachen: „Ich glaube, der Händler hat mich damals beim Wie- gen betuppt.“ Aber Dietmar Hopp hatte es zumindest gewagt.
Und der Fußball? War die ganze Zeit über Ablenkung und Freude zugleich. Vor allem der neun Jahre ältere Bruder Wolfgang (der 1960 tödlich verunglückte) war ein ambiti- onierter Kicker, spielte in der badischen Jugendauswahl. Dietmar Hopp sehnte sich nach dem Fußball; die Erinne- rung ist präsent, auch knapp sieben Jahrzehnte später: „Zu Weihnachten 1947 bekam ich einen Gummiball“, erzählt der heute 75-Jährige. „Er war nicht ganz rund, aber er war der helle Wahn. Ich habe den Ball den ganzen Abend an die Wand geschmissen und Torwart gespielt. Das war das aller- größte Glücksempfinden, das man sich vorstellen kann.“ Auch, weil es so unerwartet kam; er hatte sich erst gar nichts gewünscht: „So vermessen wäre ich nicht gewesen.“ Dietmar Hopp wusste sehr wohl, welche Mühen es gekostet haben musste, den Ball zu organisieren. „Es gab ja nichts. Ich weiß gar nicht, wo meine Eltern den hergebracht ha- ben.“ Der Ball aber, welch‘ Pointe, blieb nicht lange in seinem Besitz. Es war, aus damaliger Sicht, ein Drama. Dietmar Hopp erinnert sich exakt: „Es war im Frühjahr, wir kickten wie so oft. Der Ball flog über den Wagen eines Bau-
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„Der Ball war nicht ganz rund, aber er war der helle Wahn.“ DIETMAR HOPP
 
























































































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